Jedes Jahr um diese Zeit staune ich über meine Blumenwiese. Sie wurde nicht ausgesät, sondern entwickelt sich seit 3 Jahren in einem stetigen Prozess aus einer ehemaligen Rasenfläche.
Wo jahrzehntelang Kinder tobten und Rasenmäher dröhnten, herrscht nun die Natur.
Im ersten Jahr war ich der Verzweiflung nahe. Fast alles was ich meiner Wiese an schönen Blütenpflanzen anbot, fiel der Wühlmaus, die nach dem Neubau auf der angrenzenden ehemaligen Rinderweide zu mir flüchtete, zum Opfer. Auch die Idee, Pflanzen im Topf in die Wiese zu stellen, ging schief: begeistert zogen Milliarden von Wiesenameisen ein, von deren Existenz ich bis dahin völlig in Unkenntnis war.
Doch es gab auch Lichtblicke. Die Moschusmalve entwickelte sich prächtig, das Seifenkraut blieb am Leben und der Oregano breitete sich aus. Bereits bestehendes blieb: Blutweiderich, Pfirsichblättrige Glockenblume, Sibirische Iris, Fieberklee, Zitronenmelisse, rotstielige Pfefferminze…
Die Natur brachte weitere Highlights dazu: Walderdbeere, Schafgabe, Storchschnabel, Braunelle, Sauerampfer, nesselblättrige Glockenblume und Veronika fraßen sich durch das Gras.
Ständig kommt neues dazu, von allein oder als menschliche Zwangsintegration. Jetzt, im Sommer, sitze ich hier und genieße. Die reifenden Früchte von Akelei, Spitzwegerich und Weißklee malen die Frühlingserinnerung ins Bild. An heißen Tagen geben die explodierenden Früchte der Platterbsen ein Kastagnettenkonzert. Schmetterlinge gaukeln durch das sommerliche Blütenfeuerwerk. Hunderte von Käferpärchen treffen sich auf dem reifenden Gras, während die schwarze Königskerze ihren imposanten Blütenstand erhebt und der Schlangenkopf auf seinen Auftritt wartet.
Vögel testen den Tiefflug und Minikröten und Blindschleichen kreuzen den von mir getrampelten Pfad.
Selbst nachts, wenn die Grillen zirpen und die Glühwürmchen leuchten, gerate ich in den Bann meiner Wiese.
Diese Wiese berührt mich, wie es keine noch so schöne Blumenrabatte kann. Hier darf die Natur gestalten. Und manchmal ich.
Mit Schere und Hacke dirigiere ich das Spektakel. Manches wird einfach aufgegessen, eingesalzen oder kopfüber zum Trocknen aufgehängt, anderes landet in der Vase oder wird zu Blumenerde kompostiert.
Und im Januar, wenn die Tage wieder länger werden und mich die ersten schönen Sonnentage nach draußen locken, gehe ich auf meine Wiese und räume auf. Mit Harke und Gartenhandschuhen nehme ich mir eine Pflanzengattung nach der anderen vor. Alles was im Herbst noch kräftig Widerstand geleistet hat, bricht nun leicht in meinen Händen.
Nach getaner Arbeit sitze ich im Sonnenschein auf meiner Wiese und sehe dem Dampf aus meiner Teetasse beim Aufsteigen zu. Der Geschmack der Zitronenmelisse lässt mich vom Frühling träumen.
Er ist schon ganz nah!